Dank seines langjährigen Engagements beim VCS hat Urs Scheuss einen gut gefüllten vekehrspolitischen Rucksack. Wie es um die Bieler Verkehrspolitik steht, verrät er im Interview, das in verkürzter Form im VCS Magazin 3/2024 erschienen ist.

Worüber hast du dich in den Strassen von Biel zuletzt so richtig gefreut?
(überlegt lange) Dass bei der Murtenstrasse Parkplätze aufgehoben worden sind. Damit konnten Freiflächen geschaffen werden, die nun für Velos oder als Erweiterung der Restaurantterrasse genutzt werden. Ein gutes Beispiel dafür, wie es an anderen Orten in der Stadt auch werden sollte.

Und worüber hast du dich kürzlich geärgert?
Ein laufendes Ärgernis sind Oberflächenparkplätze, die viel Raum einnehmen. Raum – und damit Lebensqualität – den man mit den 30er-Zonen ja eigentlich gewinnen wollte. Die Strasse hat weiterhin eine Trennwirkung und das ist nicht attraktiv.

Verkehrspolitik hat für dich also viel mit Lebensqualität zu tun?
Heute sind die Strassen vor allem fürs Auto reserviert, wir müssen sie wieder mehr als öffentlichen Raum nutzen. Wichtig ist dafür auch zu verstehen, dass Verkehr nicht nur Autoverkehr ist. Alle, die sich wie auch immer im öffentlichen Raum bewegen, gehören zum Verkehr.

Früher war alles auf den Westast ausgerichtet, jetzt müssen wir umdenken.
Urs Scheuss, Gemeinderatskandidat

Wie bewegst du dich am liebsten von A nach B?
Zu Fuss und für weitere Distanzen mit dem öffentlichen Verkehr. Ich fahre nicht Velo. Und genau diese Menschen, die wie ich nicht Velo fahren, aber eigentlich gerne Velofahren würden, wollen wir aufs Velo bringen. Dafür braucht es mehr sichere und unterbruchsfreie Velorouten.

Biel ist also zu wenig velofreundlich für dich?
Biel ist dann velofreundlich, wenn ich regelmässig mit dem Velo in der Stadt unterwegs bin.

Vor über zehn Jahren hast du die Städteinitiative in Biel lanciert, aus der 2014 das Reglement zur Förderung des Fuss- und Veloverkehrs sowie des öffentlichen Verkehrs hervorging, das die Grundlage für die heutige Bieler Verkehrspolitik ist. Was hat sich seither für den Fuss- und Veloverkehr sowie den öffentlichen Verkehr in Biel verbessert?
Es gibt eine optimistische und eine pessimistische Antwort.

Fangen wir mit der pessimistischen an.
Man hat in dieser Zeit viel Papier produziert. Es gab ein Reglement, daraus eine Gesamtmobilitätsstrategie und jetzt ist man daran, verschiedene Sachpläne auszuarbeiten. Bei der Umsetzung im real existierenden Stadtraum aber harzt es noch.

Und optimistisch ausgedrückt?
Als wir die Initiative lanciert hatten, war die Verkehrsstrategie der Stadt aufs Auto ausgerichtet und der Rest musste sich unterordnen. Diesbezüglich hat die Initiative ein Umdenken und Grundlagen geschaffen für eine Verkehrspolitik des 21. Jahrhunderts auch in Biel.

Was muss Biel in Sachen Verkehr am dringendsten getan werden?
Der Sachplan Velo muss umgesetzt werden und gleichzeitig müssen wir mit den anderen Sachplänen vorwärts machen.

Das sind Sachpläne für …
… Fussverkehr, Parkierung und öV. Beim öV sind wir mit dem öV-Konzept auf gutem Weg.

Und welche Projekte stehen an?
Ganz viele. Da sind die flankierenden Massnahmen zum Ostast, also vor allem die Nord- und die Südachse. Das ist ein riesiges Paket mit vielen Massnahmen, die in die richtige Richtung gehen. Massnahmen, dank denen der Verkehrsraum für alle attraktiver wird. Für den Westen der Stadt stellt sich die Frage, wie es weitergeht, nachdem wir den Westast erfolgreich verhindern konnten. Dafür habe ich mich sehr stark engagiert und für uns war immer klar: Wenn der Westast weg ist, haben wir eine grosse Chance für die Verkehrswende, denn der Westast hatte jahrzehntelang alle verkehrspolitischen Fortschritte und städtebaulichen Entwicklungen verhindert.

Aber etwas Konkretes liegt für den Westen der Stadt noch nicht vor?
Nein. Man ist noch in der Planungsphase. Früher war alles auf den Westast ausgerichtet, jetzt müssen wir umdenken. Allen ist bewusst, dass eine Autobahn in naher Zukunft nicht kommen wird und wir jetzt den Verkehr ohne Autobahn gestalten müssen. Diesbezüglich bin ich vorsichtig optimistisch. Wichtig ist, dass noch viel mehr aus der städtebaulichen Sicht, also die Gestaltung des öffentlichen Raums, geplant wird. Das ist meines Erachtens auch die wichtige Erkenntnis des Dialogprozesses: Der Verkehr ist ein Teil der Stadt, nicht ihr alles prägendes Element.

Zum Verkehr gehören heute neben Velos, Autos, Bussen und Fussgängerinnen auch viele neue Verkehrsmittel wie E-Trottinette oder Transportvelos. Ebenfalls eine Herausforderung, oder?
Alle diese neuen Verkehrsmittel werden noch kaum berücksichtigt. Man könnte zum Beispiel Oberflächenparkplätze als Parkplätze für Cargovelos nutzen oder Orte einrichten, an denen E-Trottinette abgestellt werden müssen.

Stell dir vor, es ist das Jahr 2044. Worüber freust du dich, wenn du in Biel unterwegs bist?
Dass ich jeden Tag Velo fahre, weil es attraktiv und sicher ist.

5 Sätze zur Bieler Verkehrspolitik

  • Der A5-Westast … ist Geschichte.
  • Tempo 30 ist für Biel … notwendig.
  • Der Bieler Bahnhof … muss neu gestaltet werden. Vor allem, dass er in alle Richtungen in die benachbarten Quartiere geöffnet wird.
  • Parkplätze in Biel … hat es zu viele am falschen Ort. Es gibt zu viele an der Oberfläche und jene in den Parkings werden zu wenig genutzt.
  • Der öV in Biel … ist gut, er bleibt leider oft im Verkehr stecken. Darum braucht es Busbevorzugungsmassnahmen.

Interview: Bettina Epper